2 Cent zum Thema Token/Quotenpersonen

Wie viele von Euch vielleicht wissen, ist im März das Buch “Beissreflexe” von Patsy L’amour LaLove herausgegeben, erschienen. Darin kritisieren einige Leute die queerfeministische Szene und ihren Aktivismus. Ich habe mir das Buch gekauft und schreibe später vielleicht noch was dazu, aber wieso ich das nun schreibe, ist:

Es gibt so eine Debatte auf Twitter und im Netz zum Thema “Token”, die in diesem Buch auch aufgegriffen wird, und in der sich die Seiten inzwischen mehr und mehr verhärten zu reduzierten “ganz oder gar nicht” Standpunkten.

Token ist auf deutsch am ehesten “Quoten-…..” – z.B. “Quotenfrau” oder “Quotenqueer”. Sinngemäss jemand, der dabei ist, damit man sagen kann, etwas für Diversity getan zu haben. Oder jemand, der vorgeschoben wird, um zu beweisen, dass man ja nicht diskriminierend gegen eine bestimmte Gruppe sein kann, denn man hätte ja diese Person im Team, die dieser Gruppe selbst angehört. Oder es kann auch sein, dass die “Token” Person einfach nur ihren Standpunkt vertritt und der passt Anderen gut in den Kram, um ihn anzuführen gegen andere Leute, die derselben diskriminierten Gruppe wie die Token-Person angehören, aber Standpunkte vertreten, die man nicht so gut findet.

Was daran schon erkennbar ist: Token zu sein, macht sich nicht so sehr daran fest, was eine marginalisierte Person tut, sondern daran, was Angehörige der Mehrheit/dominanten Gruppe mit ihr tun. Klar haben wir alle etwas Einfluß, und manche finden die Aufmerksamkeit, den sie durch das Token-Sein bekommen, evtl auch gut – aber der Knackpunkt ist: Den meisten Einfluß haben diejenigen, die Leute erst zu Token-Personen machen.

Der Grund ist die unbewusste Auffassung, dass Angehörige von marginalisierten Gruppen stets für _alle_ in der Gruppe sprechen. Auch wenn man denkt, man denkt nicht so: Die meisten Menschen verhalten sich so, als läge ihren Handlungen so ein Denken zugrunde, und daran merkt man, dass es doch breit gestreut vorhanden ist.

Ansonsten käme niemand auf die Idee, die Meinung von z.b. der Schwarzen Person A mit der Meinung der Schwarzen Person B zu kontern. Wir würden nur sagen “Äh, so what? Und was hat A’s Meinung mit der Meinung von B überhaupt zu tun?”

Manchmal hab ich den Eindruck, viele Linke denken, sie hätten diesen Othering-Mechanismus, dass sich eine Person immer für ihre ganze Gruppe äussert, hinter sich gelassen. Oder sie denken, der betrifft sie als Linke nicht. (Othering – VeranderungOthering – Veranderung: Eine Gruppe gilt als “anders”, von ihr gibt es Klischees und Vorurteile, die auch positiv sein können)

In dem Buch “Beißreflexe” gibt es einen Teil zum Thema Betroffenheit. Darin äussert sich eine Fraktion, die sehr skeptisch gegenüber dem wichtig nehmen von Betroffenheit ist, um es mal möglichst neutral zu sagen. Das Ideal ist, dass nur zählt, was Menschen tun und sagen, und nicht so sehr, aus welcher Position und Perspektive heraus.

Vielleicht ist es deswegen so schwer, einzusehen, dass wir leider noch nicht im Zeitalter der “Post-Betroffenheit” leben und nicht selber “Post-Betroffene” sind. Dass ver-anderte Menschen nicht als neutrale Individuen, sondern immer auch als “typische” oder “untypische” Mitglieder ihrer marginalisierten Gruppen von außen bewertet und beurteilt werden, ist leider noch die tägliche Realität. Und auch Linke sind darüber nicht erhaben.

Also ist Token sein für mich kein Makel von einer marginalisierten Person, sondern zuerst mal eine zu erwartende Erscheinung in einer Welt, in der Menschen ausgegrenzt und ver-andert (geothert) werden. Ich denke, man kommt gar nicht drumherum, mal in der Situation zu sein, wo es heißt: “Jetzt sag doch du mal als Frau, ob das wirklich sexistisch ist.” oder “Wie findest du denn als Moslem, dass..” oder ich höre “Mein Schwarzer Nachbar findet das aber gar nicht rassistisch..” oder, oder, oder. Da fängt das Token sein eigentlich schon ganz klein an.

Ein(einer von vielen möglichen) Extremfall wäre es vielleicht, wenn eine Token Person Standpunkte vertritt, die ihr und ihrer marginalisierten Gruppe schaden, und Nichtbetroffene begründen damit, warum es okay ist, dieser Gruppe zu schaden. Zum Beispiel die Physikerin, die in einem komplett männlichen Umfeld sich beeilt, sehr frauenfeindlich und sexistisch zu reden, wodurch sie den Männern signalisiert, dass sie von ihr nichts zu befürchten haben, und im Gegenzug wird sie in den Reihen der Jungs in Ruhe gelassen oder besonders akzeptiert, denn “du bist ja nicht so wie die anderen Weiber”.

Ich finde das Thema Token sein und Token Personen interessant. Das Wichtige daran ist vor allem, die dahinter steckenden Strukturen zu erkennen, und nicht die Personen, deren Meinung gerade vorgeschoben wird, individuell dafür zu beschuldigen. Ich finde nichts langweiliger, als Leute, die z.B. sagen “Frauen sind ja selbst schuld an den sexistischen Verhältnissen, denn viele tun ja nichts dagegen und finden sie auch noch gut”. Mit dieser Art von Hinschauen komme ich doch nicht dahinter, wieso sich Unterdrückungsverhältnisse so gut halten. Das Mitmachen bei der Unterdrückung erscheint als verschrobene Gruppenbeklopptheit, und dass das als Erklärung überhaupt befriedigen kann, ist in sich wieder nur ein abwertendes Klischee.

Das Problem mit dem Begriff Token ist kein Problem mit dem Begriff Token, sondern für mich ist es ein Problem des falsch verstandenen Abhandelns von Strukturellem auf der persönlichen Ebene. Zwar ist das Private Politisch, aber deshalb sollte ich doch nicht die gesellschaftlichen Strukturen den Einzelnen persönlich anlasten. Weil das keine Befreiungsstrategie ist, sondern nur ein “Schuldige suchen”.

Wenn z.B. gesagt wird, “Ach, die ist ja sowieso nur Token Betroffene” um die Meinung einer Person als nicht gültig abzuwerten, führt das doch zu nichts. Das ignoriert, wer hier eigentlich jemanden zum Token hernimmt, und selbst wenn man diese Leute dafür kritisiert, sollte man immer noch auch an das Strukturelle denken und darauf aufmerksam machen.

Einzelne und ihr “Fehlverhalten” anzuschauen und abzuurteilen, anstatt den Blick auf die dahinter steckenden Strukturen zu richten, ist leider etwas, was ich öfter in der Linken und speziell auch in der queerfeministischen Bubble sehe.
Das sollte kritisiert werden und ich selbst würde mich sehr freuen, wenn wir (ich rechne mich selber zu jener queerfeministischen Bubble) da einfach weniger Fails verzeichnen würden und einfach öfter die Kurve zu konstruktiver Auseinandersetzung kriegen würden.

Begriffe wie Token oder das Phänomen, eine Quotenperson zu sein, komplett fallen zu lassen, weil sie zu sehr dazu einladen könnten, den Blick von den Strukturen weg zu nehmen, ist für mich ebenso der falsche Weg. Wir können doch besser mit Komplexität umgehen als das. Oder? Als ich anfing, “Beissreflexe” zu lesen, habe ich mich sehr geärgert, dass viele Begriffe in dem Buch quasi “verbrannt” werden, weil die Szene, die man auszog, zu kritisieren, oft mit ihnen hantiert.

Das sind im Grunde genommen auch nur der Versuch, das Sprechen zu kontrollieren. Und es ist so platt: “Du hast diesen und jenen Begriff benutzt, also gehörst du zu DENEN und DIE sind ja sowas von im Unrecht!” Inwieweit ist das denn nur einen Deut besser?

Token ist also jetzt so ein Reizwort. Wie Betroffenheit.
Man kann jetzt aufhören, über das, was es eigentlich bedeutet und die Strukturen dahinter nachzudenken. Sollte man aber nicht, finde ich.

PS: Mir erschließt sich aber auch logisch nicht, wieso Leute denken, dass allein der Begriff “Token” jemanden zu einer Marionette herunterqualifiziert. Ich kann doch annehmen, dass eine Handlung gleichzeitig autonom und legitim ist, und trotzdem kann sie von anderen taktisch vorgeschoben werden, um ihre Position zu begründen. Ja, manchmal benutzen Leute den Begriff “Token” so, um die Meinung von jemandem zu diskreditieren (s.o.) und die Person zu einer Marionette herunterzuqualifizieren. Das ist aber auch nicht die “Schuld” des Wortes. Ich bin einfach nicht für das “verbrennen” von Begriffen. Oder das Hernehmen von Begriffen als Beweismittel, dass etwas bestimmtes im Schilde geführt wird. Mehrdeutigkeit ist ein Ding.

PS 2: Weil ich Metal-Fan bin: Auch ein sehr gutes Beispiel von Token queer ist Rob Halford, der offen schwule Frontmann von Judas Priest, der von wirklich der gesamten Metalszene hochgehalten wird, wenn es die Kritik kommt, dass sie homofeindlich sei. Oder zumindest nicht sehr homofreundlich. Das heißt nicht, dass Rob Halford nur ein Quotenmetaller sei. Er ist vielmehr ein Metal-Urgestein, der den Metal mit erfunden hat, an ihm kommt man kaum vorbei. Aber dennoch ist es einfach ein Ding, dass es in der Metalszene zwei offen schwule Musiker gibt, (in Zahlen: 2!) und es geht einfach nicht, dass alle immer nur: “Aber Rob Halford” sagen und sich dann die Hände waschen und nichts mehr gegen Scheisse in der Metalszene tun müssen. So.

start small and revive your blog

Hello!

Nachdem ich über ein Jahr hier nichts geschrieben habe, und ehrlich gesagt auch etwas an meinen eigenen Ansprüchen gescheitert bin, habe ich mich gefreut, Somlus Blogwiederbelebung zu lesen. Vielleicht lief in letzter Zeit zu vieles über Twitter, und vielleicht brauchte es erst einige gescheiterte Diskussionen dort, um mich zu fragen: Wieso blogge ich eigentlich nicht mehr?

Ich habe einen Text gefühlte 100 Jahre in der Warteschleife und dann unter Passwortschutz zum Testlesen stehen gehabt, der aus der sogenannten “Bi-Debatte” aus dem Sommer 2015 (so lang her…) entstanden war. Ich habe ihn nie freigeschaltet. Zu konfus, zu wenig konnte ich klar machen, was aus einer paradoxen und schwierigen Zwischenposition  zwischen straight und queer heraus für mich dazu zu sagen ist.

Seitdem (vielleicht komplett unabhängig davon) sind Diskussionen meinem Eindruck nach zurückgeschliddert auf Punkte, wo ich die Zeit zu schade finde, sie immer noch diskutieren zu müssen. Es dreht sich z.B. regelmässig auf Twitter unter Linken um den Punkt, ob die “Critical Whiteness” Fraktion quasi schon identitäre Nazis sind und intersektionaler Feminismus eine menschenverachtende Ideologie. Unter Linken. Ich bin selbst der Ansicht, dass sich die queerfeministische Szene mit einigen Punkten selbstkritisch befassen sollte. Die lächerlichsten Anwürfe und aufgeblasensten Nazivergleiche als Diskussionsgrundlage funktionieren als Startpunkt aber sicherlich nicht.

Und was mich auch geschockt hat, ist, wie hoffähig TERFs wieder geworden sind in der deutschsprachigen feministischen Szene. (Ich bin grad etwas verstört, dass Sancznys Terf-101-Text nicht mehr online zu sein scheint. Insofern muss ich auf was englisches verlinken: TheTerfs.com – falls wer nicht weiss, was TERFs sind.) Ich fasse es echt nicht, wie cissexistische Feministinnen mit allen Mitteln auf Frauen einschlagen, die ihnen nicht Frau genug erscheinen. Und wie biologistisch argumentiert wird. Dass wir uns damit überhaupt noch rumschlagen müssen. Vielleicht ist das alles etwas, was zu der Entwicklung mit beigetragen hat:

Was ich vor Jahren nicht für möglich gehalten hatte, weil ich dachte, wir seien besser als das: Einige Diskussionen innerhalb meiner queer_feministischen Bubble sind stark abgeflacht. Mir wird manchmal zu sehr nur auf die Positionierung der Personen (WER sagt was?) geschaut, als auf das, was gesagt wird und welche Strategie gerade läuft. Und dann gibt es diese Topcheck-Positionierungen aus denen heraus du eh alles gecheckt hast, oder Privilegien-Mathematik ersetzt die Analyse.  Selbstverständlich können auch einige Leute nach wie vor anderen an der Nase ablesen, wie diese positioniert sind und ob sie ihre Privilegien auch genug reflektieren.

Vielleicht habe ich das vor 2-3 Jahren nur nicht so sehr mitbekommen. Ich hatte zu tun damit, den ganzen Kram überhaupt erst zu lernen. Und die grundlegenden Gedanken und Texte sind ja meistens etwas Anderes als hinterher die Praxis. Da hört sich alles einleuchtend an, da wird reflektiert und alles auch in einen Zusammenhang gestellt mit linken, feministischen Bewegungen und gesellschaftlichen Strukturen..  Und dass im Praktischen meistens, immer, Verkürzungen und Vereinfachungen passieren, ist auch klar. Klar muss ich, um mich für eine Handlung zu entscheiden, um Aktionen zu machen, aktiv zu werden, erstmal einen Punkt raus suchen. Und eine von mehreren Möglichkeiten von Deutung wählen, und da irgendein Handeln ansetzen. Ich glaube, so wie ich nichts so heiß essen kann, wie es gekocht ist, kann ich auch nichts so komplex be_handeln, wie es gedacht worden ist. Und trotzdem. Ich finde, zu heftige Shortcuts schaden am Ende mehr als sie nützen. Denn was nützen schnelle Resultate, wenn es nur oberflächliches Nachgeplapper ist?

Naja. Das soll sich eigentlich nicht so pessimistisch anhören, ist es aber. Jedenfalls gerade. Es ist ja nicht so, als hätte ich die Scherben, die solche Vereinfachungen machen können, nicht gesehen. Immensen Schaden habe ich passieren sehen. Und war selbst nicht in der Lage, dagegen mit irgendwas anzusprechen. Nur die Trümmer mit beseitigen helfen, das war alles, was möglich war.

Ja, da sind noch die Bücher die bei Themen in die Tiefe gehen. Und da sind diejenigen, die Widersprüche in der Komplexität zulassen können und mit bedenken. Da sind gute Gespräche.  Ich habe diese geschützten Räume, in denen Widersprüche, Komplexität und viele “Vielleichts” existieren dürfen. Sie haben es mir ermöglicht, Dingen einen Namen zu geben, mich statt in meiner unbeschriebenen, unbenannten Anormalität irgendwo zu hängen, mehr zu verstehen: Wo ich in diesem Netz aus Bedeutungen, Normen und Machtstrukturen stecke, und was das für mich bedeutet. Das war und ist für mich sehr wertvoll.

Vielleicht ist es logisch, wegen den oben genannten erbitterten Kämpfen in linken und feministischen Bewegungen, sich wirklich erst mal vom Rumgrübeln abzuwenden und zu versuchen, wenigstens erst mal die Facts und Basics hinzukriegen. Und sich erst mal nicht um Eventualität, Vielleicht, und 0ffene Ränder und Widersprüche zu kümmern. Würde aber trotzdem nicht gehen, weil es halt dann auch wieder Leute gibt, die dann entnannt und übersehen werden. Es muss leider doch alles unter einen Hut passen und alles muss leider doch irgendwie gleichzeitig laufen. Wir müssen das auch nicht alle zusammen und am gleichen Ort machen. Aber schön wär’s halt, zu sehen, dass wir schon noch die gleichen Dinge wollen und dafür was tun, so aussichtslos es auch manchmal aussieht.

Was vom Aufschrei übrigblieb

#Aufschrei, die Twitter-Aktion. Ich bin live eines Nachts reingestolpert und fand das gut, ich habe mitgemacht und es war erschreckend, wieviel einer wieder einfiel an Erlebnissen mit Sexismus. Und auch, wie vielen Menschen (bewusst Menschen, da es nicht nur Frauen* waren) in meiner Timeline so viel einfiel. Wir tweeteten Erlebnisse und tweeteten uns gegenseitig Solitweets zu und fühlten uns einander verbunden, eine Nacht, einen Tag vielleicht noch war das toll.

Dann kam die Bekanntheit der Aktion, es ging in die Medien, es wurde wie zu erwarten war, furchtbar, und gleichzeitig kam auch der Backlash und ekelerregende Trollerei. In sexistischen Strukturen privilegierte Menschen (und das sind nun mal zumeist heterosexuelle Cis-Männer) jammerten und machten sich selbst zu den grössten Opfern, sie dürften ja nun nicht mehr Komplimente machen, sie wären wahnsinnig diskriminiert, die Schlampen würden es ja nur selber wollen, die armen Männer würden pauschal als Sexisten abgestempelt, und so weiter und so fort, ad Nauseam.Das war das eine. Die anderen, (zwar nicht so viele, aber leider genug, um bemerkbar zu sein) schleuderten einfach nur ihren Hass raus, ergingen sich in Gewaltfantasien.

Inzwischen kommt es mir vor, als sei das Thema Sexismusdiskussion total vermint: Mal was falsches gelesen, den falschen Link geklickt, und schon wieder erschreckende, enttäuschende und sehr ärgerliche Sachen gelesen, die sich ins Hirn gebrannt haben. Ich bemühe mich ja nun schon, nur in meiner eigenen feministisch orientierten Filterbubble zu bleiben und nur empowernde Texte und Beiträge aus dieser zu lesen. Die Mainstreamdebatte bekomme ich quasi nur gefiltert durch diese Beiträge mit, weil sich andere die Mühe machen, die Talkshows anzusehen, die Zeitungen zu lesen und dagegen anzuargumentieren. Und trotzdem schlägt immer mal wieder ungefiltert blanker Frauenhass oder total sorgloses gutgemeintes Derailing (Abwiegeln, Entgleisen) durch bis zu mir. Da ein Kommentar, hier ein Forumsbeitrag, dort eine Diskussion, wo sich Menschen z.B. ellenlang Gedanken machen, wie Komplimente gehen und wie man diese annimmt oder auch nicht. (Tach. Es geht nicht um Komplimente. Ging es nie. Gern geschehen.)

Inzwischen habe ich auf die Diskussion echt keinen Bock mehr und ich habe das Gefühl, “wir” (also die von Sexismen Betroffenen) haben die Debatte verloren. Unsere Aufschrei-Tweets haben es zwar bis in die New York Times geschafft, aber im Inland macht sich Gottschalk noch lustig darüber, dass Brüderle ihm die “Last” abgenommen habe, der Creep der Nation zu sein. Hätte er die Scheiße einfach bleiben lassen, vor den Augen der “Fernsehnation” Frauen anzutatschen und aufs Unangenehmste sich an sie heranzuwanzen, hätte er die “Last” sofort los gehabt. Dazu wurde er ja nicht gezwungen.  Und dann bekundet er, dass er vor Frauen einen großen Grundrespekt hätte und damit sei nun alles gut. Oder die Radiokommentatorin, die einiges sagt, was echt okay ist, dann aber nivellierend meint, wir sollten einfach nur alle mal (Frauen seien ja genauso für Sexismus verantwortlich, jaja) wie Erwachsene blabla… und sie könne das Opfergejammer und die Empörung vieler Frauen nicht mehr hören, am Ende schäkert der männliche Moderator: “Vooorsicht, jetzt kommt ein Kompliment! Das hast du schööön gesagt!” – Das finden sicher die meisten sooo harmlos. Aber es sagt zweierlei aus: 1) Männer machten ja nur Komplimente, und Frauen behaupteten, das sei Sexismus, in Wirklichkeit gäbe es also diesen Alltagssexismus gar nicht bzw. Sexismus ist nur wenn es schlimme Gewaltverbrechen sind und 2) Das Thema sei lächerlich. Man kann sich getrost darüber lustig machen.  Anbei die Kommentatorin, die mehr oder weniger mitlachen muss, weil sie sonst ja die Spassbremse ist.

Unmöglich, dem auszuweichen. Soll ich es schade finden, dass es #Aufschrei überhaupt gab? Ich könnte ja nun sagen, jetzt weiß ich wenigstens, wo ich dran bin in diesem Land hinter dem Mond, aber das war ja vorher schon klar. Vorher zum Beispiel, als Sachsen-Anhalt Zwangs-HIV-Tests für Schwule, Obdachlose und People of Color plante. Da sagte eine Freund_in von mir: Deutschland ist nicht zur Demokratie fähig und sollte dringendst unter internationale Verwaltung gestellt werden. (Ist das eigentlich jetzt abgewendet oder…? Es gab keine Berichterstattung mehr dazu.)

Im Moment ist einfach viel Enttäuschung und Ärger da bei mir. Auch wegen all der “Kleinigkeiten” die an und für sich ja harmlos sind, wie dieser “Scherz” des Radioeins-Moderators, die aber darauf verweisen, wie sexistisch die ganze Gesellschaft und ihre Vereinbarungen darüber, was sich geziemt und was nicht, eigentlich ist.

Antje Schrupp ist da ja viel optimistischer und schreibt: “Mein Masseur, mit dem ich vorhin darüber sprach, findet die ganze Geschichte nach wie vor absurd und weiß nicht, worüber wir uns aufregen – aber er weiß jetzt zumindest, dass wir uns darüber aufregen.”

Mir reicht das aber nicht. Nein, mir reicht es nicht, dass die Mainstreamgesellschaft, wenn _mal_ das Thema Sexismus viral wird, nichts besseres dazu hinkriegt als Derailing, Gewitzel, Schmerzensmänner und die unterste Schublade von 1950 aufzuziehen und die ollen Kamellen rauszuholen und abzustauben. Na gut, aber ich habe ja auch erwartet, dass wenn sich z.b. Geflüchtete politisch einmischen und ihre Geschichten erzählen, dass die Mainstreamgesellschaft und die Politiker_innen was anderes dazu zu bieten haben als die ollen Ressentiments über die “Wirtschaftsflüchtlinge” und sagen: “Wenn es euch hier nicht gefällt, dann geht doch zurück”. Da ist die Situation ja auch so: Die Geflüchteten erreichen viele Menschen und viele denken zwar auch darüber nach, aber die politischen Konsequenzen werden an den entscheidenden Stellen nicht gezogen, die da wären, mal die eklatanten humanitären Mißstände in der EU anzugehen und daran zu arbeiten, diese zu beseitigen. Nicht mal die Lagerunterbringung ist bislang abgeschafft.

Gut, zurück zum Thema #Aufschrei.

Antje Schrupps Resumee ist:

Mag sein, dass sich manche nur ihrer Positionen vergewissert haben, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten sich “bewegt” haben. Und ich bin auch davon überzeugt, dass wir bei dem allen insgesamt ein Stückchen näher an das gerückt sind, was “richtig” und “gut” ist.

Hmja. Vielleicht sehe ich das auch zu pessimistisch. Vielleicht bin ich auch zu verärgert im Moment. Denn was ja wirklich bleibt, ist, dass dieser ganze Backlash und Frauenhass, das ganze Derailing nur in diesem Ausmass nötig war, weil das Ausmaß derer, die sich bei #Aufschrei zu Wort gemeldet haben, wirklich so hoch war. Wir waren einfach verdammt viele. Und wir haben es in die New York Times geschafft. Und internationale Zeitungen haben ja das geschrieben, was die Zeitungen in Biederschland unterschlagen haben, weil die Befindlichkeiten des weißen Hetenmanns an und für sich erstmal wichtiger waren. Vielleicht ist das ja auch was. Vielleicht sollte ich mich darüber auch einfach mal freuen.

Auf jeden Fall freue ich mich z.B. darüber, dass mein weißer Hetero-c#-Lebensgefährte, als er die #Aufschrei Tweets mitbekam, einen Solitweet für uns getwittert hat. Oder auch darüber, dass eine ehemalige Bekannte/Freundin, mit der die freundschaftliche Beziehung vor Jahren nicht im Guten zu Ende gegangen war, auf einmal bei Facebook sich zu Wort meldet und brillante feministische Kommentare schreibt. Oder dass mir gestern beim Treffen mit Freund_innen meine Freundin sagt: “Da haben auch viele ältere Frauen sich gemeldet in diesem Sammelblog, die schrieben, sie melden sich deshalb jetzt zum ersten Mal im Leben zu Wort” und wie wir dann gerührt waren. Oder wie schwule und queere Freund_innen sich ebenfalls zu Wort meldeten, obwohl die (bzw. Teile davon) feministische Szene oft gar nicht nett und solidarisch zur queeren Szene war und ist, wie trotzdem auch da eine Verbundenheit zu merken ist, weil es nicht nur wegen dem “herkömmlichen” Sexismus ist sondern weil es auch Heterosexismus und Cissexismus gibt. (Es gab leider auch viel Heteroprivilegiengedöns, wie Nadine feststellte).

Ein Wechselbad der Gefühle ist das also, was bei mir vom #Aufschrei übrigblieb.

Und ich muss wirklich allen sehr, sehr danken, die sich der Diskussion ausgesetzt und Einspruch erhoben haben, die empowernde Texte geschrieben haben, ihre Kraft und Zeit investiert haben, damit nicht #Aufschrei im privilegiengetränkten Mainstream absäuft. Und ich fand den Artikel von Antje Schrupp deshalb so gut, weil diese Metaperspektive und die vielen interessanten Gedanken darin eine_n wirklich vom Ärger über all die Zustände abbringt. Die mensch ansonsten permanent verdrängt und ausblendet, um sich die gute Laune zu bewahren.