Mobbing..

Gestern las ich einen echt berührenden Text zum Thema Mobbing von Steinmädchen. Ich finde das mutig und toll, wenn Menschen ihre Erfahrungen mit Mobbing oder Bullying teilen – das kann Leute inspirieren und ermutigen, stärker dagegen zu werden und sie merken, sie sind nicht alleine mit solchen Erfahrungen.

Der ganze Text brachte Saiten bei mir zum Anklingen, aber auch Zweifel. Sind meine Erfahrungen überhaupt “schlimm genug” gewesen, um als “Mobbing” zu gelten und/oder um die Folgen, die das für mich hatte, erklären zu können?
In der Schule zum Beispiel: Gedanken wiegeln ab. Schliesslich ist das ja oft so, Kinder können nunmal grausam sein, ist uns das allen nicht mal so gegangen? Und so weiter, blah blah. Ich weiss gar nicht, ob ich mal eine Zeit hatte, wo ich nicht in die Schule wollte. Hatte ich nicht. Hat es mir nichts ausgemacht? Ich war eigentlich in der Schule von Anfang an Aussenseiterin. Ich hatte es auch irgendwann aufgegeben, mich um “Anschluss” zu bemühen, und brötelte dann so vor mich hin, hatte aber meistens, eigentlich immer, die “beste Freundin”. Als meine beste Freundin dann schnallte, dass sie, wenn sie mit mir weiterhin befreundet sein möchte, in der sozialen Struktur der Schule immer ein Niemand sein würde, hat sie mich grausam und ein für alle Mal abserviert.

Aber der Zustand, von dem, was in der Schulklasse läuft, nichts mitzukriegen, zu erfahren, nicht dazuzugehören, das ist der Normalzustand gewesen. An mir haben sich einige auch hochgezogen und mich gehänselt wegen irgendwas, was sie sich ausgesucht haben, das an mir “unnormal” sei. Das war damals (unter Anderem) meine Stimme. Ich habe irgendwann geübt, anders zu sprechen, aber irgendwann eingesehen, dass das eh nichts nützt.

Ich weiß noch, dass ich in ein Feriencamp ging und mich freute, dass dort die Kinder unvoreingenommen sein würden, niemand kennt mich, usw. – und dann fingen die dort an, mich wegen meiner Stimme zu hänseln. Das war für mich erst sehr furchtbar, weil es bestätigte, dass die in meiner Schule ja recht hatten damit, dass meine Stimme einfach unnormal, einschläfernd, langsam und blöd ist, und von da an verbrachte ich, wie ich das schon gewohnt war, meine Zeit alleine im Wald. Ich war trotzdem irgendwie gerne auf Feriencamps, aber ich habe auf allen, auf denen ich war, den Großteil meiner Zeit alleine im Wald verbracht. Ich weiß aber nicht mehr, ob ich das irgendwann sowieso schon tat und die Versuche, Anschluss zu kriegen, gleich von Anfang an unterliess.

Ich hatte irgendwann ein Mißtrauen entwickelt gegenüber Menschen, die zu cool, zu erfolgreich, zu beliebt waren. Zeitweise habe ich und meine damalige beste Freundin, die auch Aussenseiterin war (aber noch ein klein wenig mehr Anschluss hatte als ich) diese Leute “Holzklötze” genannt. Irgendwann fragte ich mich, ob die “Holzklötze” unter der Fassade auch Tiefgang haben, ob sie Gefühle haben, oder ob sie wirklich so flach und kalt sind, wie sie uns erscheinen: uns, die von ihnen aus ihrer Mini-Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Was mir letztendlich half, war ein Szenenwechsel. In meiner Schulklasse und dann im Prinzip im ganzen Jahrgang war kaum jemand links/alternativ/öko/subkulturell angehaucht. Ich begann mich irgendwann für Subkultur/Politik/Öko/usw. zu interessieren, ich wollte auch eine Emanze sein. (ich war mit meinen reichlich spiessig/braven Ansichten trotzdem schon die Klassenfeministin.) Somit gab es zwischen den “Alternativen” und den Leuten in meiner Schule, bei denen ich ein Niemand war, eigentlich keine Überschneidungen. Ich lieh mir in der Bibliothek einen Ratgeber gegen Schüchternheit und Unsichehreit aus und arbeitete das Programm durch: Ich schmiss mich systematisch, von dem Ratgeberbuch angeleitet, an die Kleinstadtökoszene ran, so sozial unbeholfen wie ich war, und stellte mich meinen Ängsten. Und blamierte mich natürlich mehrfach unheimlich, aber irgendwann hats dann doch geklappt und ich fand Freund_innen. Ich hatte sogar so was wie “Bekannte”. Vorher schwer vorstellbar. Irgendwann machte ich die Erfahrung, Teil von einer Clique zu sein, vielleicht auch Teil einer minikleinen Alternativ-Szene, und nicht der Fussabtreter der anderen zu sein. Und die Erfahrung machte ich dann öfter und öfter. Es ging auch dann nicht ohne Konflikte und Emotionen und dem Ende von der ein oder anderen Freunschaft ab, aber es war nicht das selbe wie in meiner Schule. DAS war das “wie es halt manchmal so läuft”. Manchmal verkrachen sich Menschen halt. In meiner Schule, das war kein sich “manchmal verkrachen”. Das war Ausschluss.

Als ich den Text von Steinmädchen las, kam mir aber manches sehr bekannt vor: Die Empfindlichkeit dagegen, übergangen, überhört, nicht respektiert zu werden. Ich habe manchmal, zum Glück selten, einen wiederkehrenden Alptraum: Ich versuche mich einer Person, die mir nahesteht, verständlich zu machen, und diese überhört mich oder übergeht mich einfach, und ich werde immer verzweifelter, mich verständlich machen zu wollen, bis ich so lange rumschreie, bis mir die Luft wegbleibt. Dann wache ich nach Luft ringend auf. Bekannt auch: Die Verwunderung, wenn “coole” Menschen nichts daran zu finden scheinen, sich mit mir “sehen zu lassen”. Das hatte ich noch ganz lange. Inzwischen ist es eigentlich weg.

Aber es gab auch was, was mir sehr gegen den Strich ging: für mich war das ganz und gar nicht stimmig, was sie hier schrieb:

“In Kontexten, wo vielleicht eine Person ausgeschlossen wird , vielleicht sogar wirklich verletzt wird, sich Menschen richtig scheiße verhalten – das ist trotzdem kein Mobbing. Mobbing ist ein systematischer Ausschluss seitens Personengruppen, die eine einzelne Person auf Grund von willkürliche gewählten Attributen über einen langen Zeitraum aus sozialen Kontakten rausdrängen, beschimpfen, beleidigen, schikanieren, isolieren. Einen politischen gewollten Ausschluss damit zu vergleichen, empfinde ich als unglaublich relativierend. Und es verdeckt Erfahrungen wie manche Menschen sie erlebt haben.”

Zu politisch gewollten Ausschlüssen kann ich jetzt nichts sagen, ich der Rest des Absatzes sprach mich eher unschön an, weil mir die Definition von “Mobbing” darin zu eng ist. Ich finde, wenn man “ausgeschlossen, wirklich verletzt wird, wenn sich Menschen richtig scheisse verhalten” dann klingt das verdammt genau nach Mobbing. Mir ist das nämlich vor nicht allzu langer Zeit passiert. Gut, nenne ich es “Gruppendynamik”, vielleicht war es auch objektiv gesehen nicht so schlimm – vielleicht ist mir das auch nur deshalb so sehr auf die Füsse gefallen, und war für mich subjektiv so schlimm, weil ich in meiner Kindheit und Jugend diese Vorerfahrungen hatte und in der Situation dann Dinge reaktiviert wurden, die ich vorher schon in mir drin abgespeichert hatte.

Ich dachte mir nur: Na toll, da bin ich, inzwischen über 30 Jahre alt, und bin wieder verunsichert wie ein Teenager. Ich bin lächerlich, scheisse, kann mich nicht blicken lassen. Subjektiv gesehen war das für mich sehr sehr schlimm.

Schlimm auch, zu erfahren, dass die ganze Selbstsicherheit, die ich mir die Jahre aufgebaut hatte, die Normalität, die da lautete, dass ich okay, schön, cool, respektierbar bin, die Lockerheit im Umgang mit anderen Menschen, nach all der Arbeit an mir, wieder verloren ging. Zu merken, dass das alles auch wieder verloren gehen kann.

Ich denke, dass es verschiedenste Formen von Mobbing gibt, und nicht immer sieht das so aus, dass eine Gruppe Menschen eine Person systematisch aufgrund von etwas, für das sie nichts kann, ausschliesst und schikaniert. Mobbing kommt zwar von “Mob”, aber das kann auch so laufen, dass es 1-2 Personen gibt, die schikanieren und schlecht über einen reden, und eine Gruppe, die das geschehen lässt, nicht kapiert, was auch immer, und die die Situation mitträgt.

Der eine Faktor scheint mir der “lange Zeitraum” zu sein, über den sowas geschieht. Also Monate, ein Jahr, mehrere Jahre.
Bei häuslicher Gewalt ist das so, (hier kann ich zum Glück auf keine eigenen Erfahrungen zurückgreifen) dass eine einzige Person eine andere Person so schikanieren kann, dass ihr Selbstvertrauen völlig zerstört werden kann. Es fängt “harmlos” an und wird später enthemmter, das geht dann auch über lange Zeiträume. Vielleicht ist es für das Opfer auch gleich, ob es von einer Person oder mehreren oder grossen Gruppen gemobbt wird, entscheidend ist, wenn eine oder mehrere Personen dir lang genug erzählen, du bist scheisse, und in der Machtposition sind, dich dazu zu bringen, dir das lange genug anzuhören, leidest du irgendwann unter den Symptomen, die für Mobbingopfer so typisch sind.
Je weniger Leute beteiligt sind, umso mehr Macht über dich müssen sie haben, um das machen zu können, aber wenn sie diese haben, können auch wenige oder einzelne mobben, denke ich. Ich war lange geneigt, meine Erfahrungen “Schikane” und nicht “Mobbing” zu nennen, weil innerhalb der einen Gruppe die Schikane nur von einer Person ausging. Und vielleicht ist es auch genauer, es so zu bezeichnen. Fakt ist, dass für mich als Betroffene sich meine Sitation durch gar nichts von einer gemobbten Person unterschied, bis auf die Anzahl der Personen, die aktiv schikanierten.
Da war die Person, die schikanierte, da war ich, die sich so verhielt, als hätte die Person, die mich schikanierte, Recht (und ich wäre einfach ein Stück Müll), da waren die anderen, die es nicht schnallten und sich fragten, wieso ich mich auf einmal so verhalte, als sei ich zu nichts mehr fähig, und diejenigen, die wussten, was abging, die mich unter 4 Augen zwar trösteten, die aber ansonsten und vor allem “gruppenöffentlich” nichts taten, weil sie Angst hatten, wenn sie den Mund aufmachen, wären sie vielleicht als nächstes dran. Und wenn mich diejenigen, die sich fragten, wieso es mir so schlecht ging, _mich_ fragten was los sei, antwortet ich ihnen, (und davon war ich zu dem Zeitpunkt auch selbst überzeugt), dass es mir aus anderen Gründen psychisch nicht gut ginge. Dass ich vielleicht eine leichte Depression hätte weil ich zu rauchen aufgehört hatte, oder dass Stress in einer anderen Gruppe mich belastet.

Für mich zieht sich aber noch ein zweiter roter Faden durch, zusätzlich zum “langen Zeitraum”. Das brachte Steinmädchen auch auf den Punkt. Durch ihren Text ist mir das eigentlich erst klar geworden: Und das ist das Nicht-gehört-werden, das Unsichtbar gemacht werden. Dass man sich auf den Kopf stellen kann, stundenlang Vorträge halten, sich alle erdenklichen Mühen machen, und dass der Einfluss, den man damit nehmen kann, gleich null zu sein scheint. Oder dass der Effekt nur kurz anhält und nach kurzer Zeit ist es wieder weg und die Gerüchte/Ansichten über einen selbst, denen man entgegentreten wollte, sind wieder ungebrochen da. Die eigenen Wörter werden im Mund herumgedreht, Dinge werden einem einfach abgesprochen. Man selbst wird in Grund und Boden kritisiert und eigene Gegenkritik wird abgetan mit einem lapidaren “Das stimmt doch gar nicht!” und damit ist die Sache erledigt.

Was ich nach wie vor nicht verstehen kann, sind gruppendynamische Strukturen, die diese Schikanen und Grausamkeiten nähren und aus ganz “normalen” Menschen böse Menschen machen. Aber das ist eine angebrachte Frage. Sich eben nicht fragen: Wie habe ich das verschuldet? Sondern: Wieso sind _die_ “böse” geworden und haben sich “böse” verhalten? Meine Therapeutin hat mir seinerzeit von einem Buch erzählt, “der Luzifer-Effekt” von Philip Zimbardo. Mit dem reisserischen Untertitel “understanding why good people turn evil”. Als ich über Zimbardo im Internet nachlas, fand ich raus: Dieses Ratgeberbuch, was ich als Teenie durchgeackert habe um weniger schüchtern zu sein und aus meiner Unsicherheit rauszukommen, hatte auch er geschrieben. Da schliesst sich der Kreis ;)

Aber es ist eigentlich einfach: Wir geben uns natürlich selbst die Schuld, um das Vertrauen in die anderen Menschen behalten zu können, auf das wir als soziales Wesen “Mensch” angewiesen sind. (Klappt nur dann nicht ganz). Wenn ich den anderen die Schuld gebe, dann kann ich ja nur dauernd Angst haben, weil meine Mitmenschen jederzeit zu unberechenbaren Bullies werden könnten. Naja, oder man beschäftigt sich damit, dass tatsächlich die Mitmenschen zu Bullies werden können. Und was die Vorraussetzungen sind, damit das passiert, und was die Vorraussetzungen sind, damit das nicht passiert.
Das Fazit von Zimbardo war: Wenn die Strukturen dafür da sind, kann jeder Mensch böse werden. Naja, vielleicht sollte ich das Buch doch mal lesen.

Inzwischen geht es mir wieder gut, ich bin aus dem Tief, in das ich da gefallen war, durch einen wunderbaren Zufall und eine gute Verhaltenstherapeutin wieder rausgekommen, bin rehabilitiert, werde respektiert, anerkannt, angehört, gemocht… (natürlich nicht durchgängig oder von jedem, aber dass einzelne mich mal doof finden, ist für mich ok, ich finde manche Leute auch manchmal doof) wofür ich auch sehr dankbar bin. Ich musste nicht, wie viele andere in der Situation, umziehen, die Firma wechseln, die Gruppe verlassen. Aber wenn der Zufall nicht gewesen wäre, hätte ich das getan, weil das manchmal das einzig prakikable ist und ein Mensch lieber gehen sollte, als ewig Schikanen ausgesetzt zu sein.
Das Fazit für mich, warum ich das schreibe, ist, dass ich möglichen Betroffenen Mut machen möchte. Auch wenn man in der Situation denkt, man wäre halt “falsch” und “macht alles falsch”, das ist nicht so. Das kann auch, wenn sich genug blöde Umstände verketten, der glücklichsten und selbstbewusstesten Person passieren, dass sie in eine Lage gerät, wo sie runtergemacht wird, bis sie psychisch Schaden nimmt.
Und wenn die Situation, in der man schikaniert wurde, beendet ist, man selbst geht oder sie sonstwie beendet wird, kann sich auch therapeutische Hilfe holen, erholt man sich wieder, kann wieder gesund werden. Man war nie ein schlechter, falscher Mensch, sondern hat nur ganz normal auf Schikane und Ausgrenzung reagiert -> man ist daran krank geworden*. Und man kann auch wieder gesund werden.

* In diesem Fall ist das “krank werden” eben eine normale, und natürliche Reaktion auf Mobbing. So ungern ich ansonsten die Worte “normal” und “Natürlich” verwende, hier passt nichts anderes.

Nachtrag: Schon vor einer Weile las ich einen Text zum Thema Mobbing auf ryuu.de – den ich hier noch verlinken möchte!