I am cringe, und das ist auch gut so.

Ich war als Kind und als Teenager sehr schüchtern und unsicher, und hatte wenig Selbstvertrauen und wurde auch gehänselt und gemobbt. Irgendwann, mag so mit 15 gewesen sein, lieh ich mir ein Selbsthilfebuch gegen Schüchternheit aus der Bibliothek und arbeitete es durch, und stürzte mich in Sozialkontakte, kämpfte gegen meine Angst an, und hatte auch irgendwie Erfolg damit.

Ich fand Eingang in die alternative Jugendszene meiner schwäbischen Kleinstadt, spielte Gitarre am Lagerfeuer, gehörte irgendwie dazu und überzeugte mich selbst davon, dass ich gar nicht peinlich bin, sondern dass ich mir das immer nur eingebildet hatte, und es sei einfach nur eine Sache der Ängstlichkeit und Schüchternheit gewesen, die mich abgehalten hatte.

Im Erwachsenenleben ging das dann so weiter, ich dachte immer, mein größtes Problem könnte nur das sein, dass ich immer denke, die Leute könnten mich nicht leiden, oder fänden mich peinlich oder daneben, was aber in der Realität nicht der Fall ist.

Was an mir vorbeiging: Es ist sehr wohl der Fall gewesen. Nicht bei allen Leuten, aber bei einigen schon. Zum Glück wusste ich das damals nicht, sonst wäre ich niemals so aus meinem Schneckenhaus raus gekommen.

Mit dem Älterwerden und auch einer Bubble von wirklich lieben, neurodivergenten, chaotischen und leicht verschrobenen Menschen um mich herum finde ich immer mehr zu einem Selbstverständnis, wo ich nicht mehr darauf angewiesen bin, mir einzureden, dass ich gar nicht peinlich oder komisch bin. Doch, ich bin’s, na und?

Ich bin vielleicht weird und komisch und durchaus auch manchmal peinlich, und ich bin immer mehr in der Situation, wo ich damit nicht allein auf der Welt bin, wo das okay ist, und wo ich das an mir akzeptieren kann. Und vielleicht komme ich mal an den Punkt wo ich es ganz gelassen sehen kann, dass manche Leute mit mir nicht können, (obwohl ich mich bemühe und ihnen kein Unrecht getan habe; das ist mir wichtig zu unterscheiden) und mich eben nervig finden.

Ja gut, jetzt komme ich raus mit dem Brocken: Ich habe mich in den letzten 1,5 Monaten mit dem Thema ADHS beschäftigt – das berüchtigte Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom – und ich bin der Meinung, dass ich das habe, und dass es vieles von meiner Kindheit an bis heute, was mir an mir “anders” erscheint, erklärt. Ich habe früher gedacht, ich bin wahrscheinlich hochsensibel, aber dadurch wird nur ein kleiner Teil meiner weirdness erklärt, und noch dazu widerspricht es sich stark mit dem, was ich sonst noch an mir bemerke. Um eine formelle Diagnose werde ich mich erst mal nicht bemühen, zum einen weil ich mein Leben so eingerichtet habe, dass ich zurecht komme, und keine Behandlung benötige. Und ohne Behandlungsbedarf muss eine formelle Diagnose nicht sein. Aber – ohne Behandlungsbedarf bekommt man sowieso auch keine! Wem’s “zu gut geht”, der bleibt außen vor, das steht jedenfalls hier (Link zu ADHSpedia.de).

Zurück zum Thema Cringe. Ich habe durch diese Beschäftigung mit ADHS vieles über mich gelernt und mir fallen viele Dinge erst auf, die ich vorher als… naja, nicht besonders bemerkenswerte Eigenschaft wahrnahm, die sowieso mehr oder weniger alle Leute(tm) so haben. Oder nicht? Oder nicht? Naja, anscheinend nicht. Und das könnte jetzt stracks dazu führen, dass ich sehr selbstkritisch und selbstbeobachtend werde, dass ich möglichst “normal” und angepasst versuche zu performen und möglichst nicht peinlich zu sein.

Zum Glück gibt’s Freund_innen, die “cringe-positiv” sind und die möchte ich auf keinen Fall missen. Wahrscheinlich werde ich schon versuchen, hier und da ein wenig mehr zu kompensieren: Weniger die Klappe aufreissen, vielleicht auch weniger “Oversharing”, (haha leichter gesagt als getan; wir sind schließlich im Internet) und am Selbstorganisationsthema auch dran bleiben. (Das läuft dank Hobbies wie Bulletjournaling und Konmari-Methode eigentlich besser denn je.) Aber insgesamt: Ich will so bleiben wie ich bin, und auch weiterhin den Mut haben, eben etwas peinlich und verschroben durch die Welt zu gehen. Denn es gibt Wichtigeres im Leben als sich eines konform gehenden Habitus zu befleißigen, nicht zu laut zu reden, nicht zu viel zu lachen…

Meme dessen Quelle mir leider unbekannt ist. Danke an Craig von Aubergine Tattoo für das Bild!

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Ach ja: SelfDx is valid!