Was vom Aufschrei übrigblieb

#Aufschrei, die Twitter-Aktion. Ich bin live eines Nachts reingestolpert und fand das gut, ich habe mitgemacht und es war erschreckend, wieviel einer wieder einfiel an Erlebnissen mit Sexismus. Und auch, wie vielen Menschen (bewusst Menschen, da es nicht nur Frauen* waren) in meiner Timeline so viel einfiel. Wir tweeteten Erlebnisse und tweeteten uns gegenseitig Solitweets zu und fühlten uns einander verbunden, eine Nacht, einen Tag vielleicht noch war das toll.

Dann kam die Bekanntheit der Aktion, es ging in die Medien, es wurde wie zu erwarten war, furchtbar, und gleichzeitig kam auch der Backlash und ekelerregende Trollerei. In sexistischen Strukturen privilegierte Menschen (und das sind nun mal zumeist heterosexuelle Cis-Männer) jammerten und machten sich selbst zu den grössten Opfern, sie dürften ja nun nicht mehr Komplimente machen, sie wären wahnsinnig diskriminiert, die Schlampen würden es ja nur selber wollen, die armen Männer würden pauschal als Sexisten abgestempelt, und so weiter und so fort, ad Nauseam.Das war das eine. Die anderen, (zwar nicht so viele, aber leider genug, um bemerkbar zu sein) schleuderten einfach nur ihren Hass raus, ergingen sich in Gewaltfantasien.

Inzwischen kommt es mir vor, als sei das Thema Sexismusdiskussion total vermint: Mal was falsches gelesen, den falschen Link geklickt, und schon wieder erschreckende, enttäuschende und sehr ärgerliche Sachen gelesen, die sich ins Hirn gebrannt haben. Ich bemühe mich ja nun schon, nur in meiner eigenen feministisch orientierten Filterbubble zu bleiben und nur empowernde Texte und Beiträge aus dieser zu lesen. Die Mainstreamdebatte bekomme ich quasi nur gefiltert durch diese Beiträge mit, weil sich andere die Mühe machen, die Talkshows anzusehen, die Zeitungen zu lesen und dagegen anzuargumentieren. Und trotzdem schlägt immer mal wieder ungefiltert blanker Frauenhass oder total sorgloses gutgemeintes Derailing (Abwiegeln, Entgleisen) durch bis zu mir. Da ein Kommentar, hier ein Forumsbeitrag, dort eine Diskussion, wo sich Menschen z.B. ellenlang Gedanken machen, wie Komplimente gehen und wie man diese annimmt oder auch nicht. (Tach. Es geht nicht um Komplimente. Ging es nie. Gern geschehen.)

Inzwischen habe ich auf die Diskussion echt keinen Bock mehr und ich habe das Gefühl, “wir” (also die von Sexismen Betroffenen) haben die Debatte verloren. Unsere Aufschrei-Tweets haben es zwar bis in die New York Times geschafft, aber im Inland macht sich Gottschalk noch lustig darüber, dass Brüderle ihm die “Last” abgenommen habe, der Creep der Nation zu sein. Hätte er die Scheiße einfach bleiben lassen, vor den Augen der “Fernsehnation” Frauen anzutatschen und aufs Unangenehmste sich an sie heranzuwanzen, hätte er die “Last” sofort los gehabt. Dazu wurde er ja nicht gezwungen.  Und dann bekundet er, dass er vor Frauen einen großen Grundrespekt hätte und damit sei nun alles gut. Oder die Radiokommentatorin, die einiges sagt, was echt okay ist, dann aber nivellierend meint, wir sollten einfach nur alle mal (Frauen seien ja genauso für Sexismus verantwortlich, jaja) wie Erwachsene blabla… und sie könne das Opfergejammer und die Empörung vieler Frauen nicht mehr hören, am Ende schäkert der männliche Moderator: “Vooorsicht, jetzt kommt ein Kompliment! Das hast du schööön gesagt!” – Das finden sicher die meisten sooo harmlos. Aber es sagt zweierlei aus: 1) Männer machten ja nur Komplimente, und Frauen behaupteten, das sei Sexismus, in Wirklichkeit gäbe es also diesen Alltagssexismus gar nicht bzw. Sexismus ist nur wenn es schlimme Gewaltverbrechen sind und 2) Das Thema sei lächerlich. Man kann sich getrost darüber lustig machen.  Anbei die Kommentatorin, die mehr oder weniger mitlachen muss, weil sie sonst ja die Spassbremse ist.

Unmöglich, dem auszuweichen. Soll ich es schade finden, dass es #Aufschrei überhaupt gab? Ich könnte ja nun sagen, jetzt weiß ich wenigstens, wo ich dran bin in diesem Land hinter dem Mond, aber das war ja vorher schon klar. Vorher zum Beispiel, als Sachsen-Anhalt Zwangs-HIV-Tests für Schwule, Obdachlose und People of Color plante. Da sagte eine Freund_in von mir: Deutschland ist nicht zur Demokratie fähig und sollte dringendst unter internationale Verwaltung gestellt werden. (Ist das eigentlich jetzt abgewendet oder…? Es gab keine Berichterstattung mehr dazu.)

Im Moment ist einfach viel Enttäuschung und Ärger da bei mir. Auch wegen all der “Kleinigkeiten” die an und für sich ja harmlos sind, wie dieser “Scherz” des Radioeins-Moderators, die aber darauf verweisen, wie sexistisch die ganze Gesellschaft und ihre Vereinbarungen darüber, was sich geziemt und was nicht, eigentlich ist.

Antje Schrupp ist da ja viel optimistischer und schreibt: “Mein Masseur, mit dem ich vorhin darüber sprach, findet die ganze Geschichte nach wie vor absurd und weiß nicht, worüber wir uns aufregen – aber er weiß jetzt zumindest, dass wir uns darüber aufregen.”

Mir reicht das aber nicht. Nein, mir reicht es nicht, dass die Mainstreamgesellschaft, wenn _mal_ das Thema Sexismus viral wird, nichts besseres dazu hinkriegt als Derailing, Gewitzel, Schmerzensmänner und die unterste Schublade von 1950 aufzuziehen und die ollen Kamellen rauszuholen und abzustauben. Na gut, aber ich habe ja auch erwartet, dass wenn sich z.b. Geflüchtete politisch einmischen und ihre Geschichten erzählen, dass die Mainstreamgesellschaft und die Politiker_innen was anderes dazu zu bieten haben als die ollen Ressentiments über die “Wirtschaftsflüchtlinge” und sagen: “Wenn es euch hier nicht gefällt, dann geht doch zurück”. Da ist die Situation ja auch so: Die Geflüchteten erreichen viele Menschen und viele denken zwar auch darüber nach, aber die politischen Konsequenzen werden an den entscheidenden Stellen nicht gezogen, die da wären, mal die eklatanten humanitären Mißstände in der EU anzugehen und daran zu arbeiten, diese zu beseitigen. Nicht mal die Lagerunterbringung ist bislang abgeschafft.

Gut, zurück zum Thema #Aufschrei.

Antje Schrupps Resumee ist:

Mag sein, dass sich manche nur ihrer Positionen vergewissert haben, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten sich “bewegt” haben. Und ich bin auch davon überzeugt, dass wir bei dem allen insgesamt ein Stückchen näher an das gerückt sind, was “richtig” und “gut” ist.

Hmja. Vielleicht sehe ich das auch zu pessimistisch. Vielleicht bin ich auch zu verärgert im Moment. Denn was ja wirklich bleibt, ist, dass dieser ganze Backlash und Frauenhass, das ganze Derailing nur in diesem Ausmass nötig war, weil das Ausmaß derer, die sich bei #Aufschrei zu Wort gemeldet haben, wirklich so hoch war. Wir waren einfach verdammt viele. Und wir haben es in die New York Times geschafft. Und internationale Zeitungen haben ja das geschrieben, was die Zeitungen in Biederschland unterschlagen haben, weil die Befindlichkeiten des weißen Hetenmanns an und für sich erstmal wichtiger waren. Vielleicht ist das ja auch was. Vielleicht sollte ich mich darüber auch einfach mal freuen.

Auf jeden Fall freue ich mich z.B. darüber, dass mein weißer Hetero-c#-Lebensgefährte, als er die #Aufschrei Tweets mitbekam, einen Solitweet für uns getwittert hat. Oder auch darüber, dass eine ehemalige Bekannte/Freundin, mit der die freundschaftliche Beziehung vor Jahren nicht im Guten zu Ende gegangen war, auf einmal bei Facebook sich zu Wort meldet und brillante feministische Kommentare schreibt. Oder dass mir gestern beim Treffen mit Freund_innen meine Freundin sagt: “Da haben auch viele ältere Frauen sich gemeldet in diesem Sammelblog, die schrieben, sie melden sich deshalb jetzt zum ersten Mal im Leben zu Wort” und wie wir dann gerührt waren. Oder wie schwule und queere Freund_innen sich ebenfalls zu Wort meldeten, obwohl die (bzw. Teile davon) feministische Szene oft gar nicht nett und solidarisch zur queeren Szene war und ist, wie trotzdem auch da eine Verbundenheit zu merken ist, weil es nicht nur wegen dem “herkömmlichen” Sexismus ist sondern weil es auch Heterosexismus und Cissexismus gibt. (Es gab leider auch viel Heteroprivilegiengedöns, wie Nadine feststellte).

Ein Wechselbad der Gefühle ist das also, was bei mir vom #Aufschrei übrigblieb.

Und ich muss wirklich allen sehr, sehr danken, die sich der Diskussion ausgesetzt und Einspruch erhoben haben, die empowernde Texte geschrieben haben, ihre Kraft und Zeit investiert haben, damit nicht #Aufschrei im privilegiengetränkten Mainstream absäuft. Und ich fand den Artikel von Antje Schrupp deshalb so gut, weil diese Metaperspektive und die vielen interessanten Gedanken darin eine_n wirklich vom Ärger über all die Zustände abbringt. Die mensch ansonsten permanent verdrängt und ausblendet, um sich die gute Laune zu bewahren.

8 thoughts on “Was vom Aufschrei übrigblieb

  1. Schwer zu sagen, ob die Debatte Verhaltensänderungen bewirkt. Die Männer, die unterstützend waren bei diesen Diskussionen und auch selbstkritisch reflektierend, sind wohl eher die, die es auch im Alltag sind und Frauen nicht doof anmachen. Aber vielleicht bringt es was für die anderen. Die können jetzt nicht mehr sagen – war mir ja nicht bewusst, dass XY eine Frau stören könnte!! Doch, jetzt weißt du es. Und wenn du es weiter tust, setzt du dich über dieses Wissen hinweg. Du kannst nicht mehr so tun, als wäre es auf jeden Fall ok.

  2. Pingback: Mädchenmannschaft » Blog Archive » Sex, “Normalität” und Rötelimpfungen – die Blogschau

  3. das problem liegt gar nicht nur bei den männern, die sich erdreisten, sich diesen abgewrackten widerwärtigen sexismusraum immer noch zu nehmen, ohne sich in grund und boden schämen zu müssen dafür. überall auf der welt, da sind sie sich auf einmal ja ach so einig über religionsgrenzen und weiß ich welche nationalen interessen hinweg. das problem liegt meiner ansicht nach sehr stark auch bei den frauen aus den privilegierten ländern dieser welt, die diese männer anhimmeln, die es solchen männern immer noch gestatten, sich derart breit zu machen und auf den buckeln der frauen herumzutanzen. was weiß ich warum weil diese frauen feige und bequem sind oder sich in ihrer devoten rolle einfach nur gerne bedienen lassen. überall,.auf der straße, an der bar und im beruf und der familie. und das problem liegt auch bei denjenigen (privilegierten) frauen, die karriere- und sonstige wege ANNEHMEN, die mann ihnen anbietet für die gegenleistung, da gut weiterzukommen, bisschen das kleinere stück vom kuchen abzukriegen (25%weniger gut bezahlt), aber immerhin ein stück vom kuchen und ein bisschen reputation und prestige und status und seilschaften und was weiblein sonst noch davon hat. vorausgesetzt eine steckt feministische gedanken in die tonne, hält den mund, öffnet dafür weit die faust und benimmt sich,wie es sich für eine dame gehört.

    • Das Problem in einer Machtstruktur liegt immer auch bei den innerhalb der Machtstruktur “Unterdrückten” – aber ich denk halt, es ist total typisch, dass es immer auch diese Anbiederungsmöglichkeit gibt, und dass es immer für Entsolidarisierung und Selbstverleugnung “Belohnungen” gibt. Also dass es halt die “besseren” und “schlechteren” Frauen gibt, wie die “besseren” und “schlechteren” Männer innerhalb der Struktur. Einerseits denk ich ja auch, dass es ein Problem ist, diese Nutznießerei, die du ansprichst, andererseits spielt man damit eigentlich genau der Struktur in die Hände, indem ihr Belohnungssystem von “besseren” und “schlechteren” übernommen wird. Schwierig. Für mich ist das schwer, Unterdrückten böse zu sein, wenn sie sich “hochzudienen” versuchen, weil sie ein Stück vom Kuchen abhaben wollen.

      • danke für deine antwort.

        seh ich auch so.
        und was ich auch finde: es ist schwierig (es überhaupt auf den punkt zu bringen, was zu ändern dran etc.)
        [der folgende text ist ein bisschen verschachtelt, was daran liegt, dass meiner ansicht nach das eigentliche problem an der überlagerung verschiedener machtstrukturen liegt. und ich versuch aufzuschreiben, welchen ansatzpunkt ich genau mein.]

        — ich mein nicht die “nur” oder “vorwiegend” unterdrückten (was die angeht, geb ich dir vollkommen recht). ich mein vor allem die frauen, die im bezug auf _andere machtstrukturen_ (wie z.b. die zwischen arm und reich bzw. zwischen unter-, mittel- und oberschicht) privilegiert sind. und so eigentlich gute ausgangspositionen hätten, hebel anzusetzen. es aber nicht tun, weil es für sie selber existenzielle schwierigkeiten mit sich bringen könnte.
        –> (frau möchte sich doch nicht die finger schmutzig machen (wozu auch gehören kann, sich der aggression der männer auf ihrer ebene auszusetzen, die doch ihren status (auch den frauen gegenüber) gerne erst recht als selbstverständlich und vollkommen richtig so empfinden). wenn sie es gewohnt ist, dass es personal dafür gibt? oder selbstverständlich der überzeugung ist, dass sie sich für niedrige tätigkeiten gar nicht in frage kommend fühlen braucht? –> weil es gibt ja auch genug ausländer(innen), die das viel besser können. da wirds nämlich dann richtig haarig [den vorigen satz mein ich nicht selber so, er soll beschreiben, dass ich glaube, dass dieses denken in diesen kreisen an der tagesordnung und teil des problems ist. was ich selber meine ist: wenn alle ein problem sehen und alle anpacken, und sich gegenseitig zur hand gehen, einfach solange, bis es gelöst ist, dann wird es einfach gelöst. und da das nicht oder nur sehr träge der fall zu sein scheint, frag ich mich ___warum verdammt nochmal, das problem offensichtlich nicht mal von einer hinreichend kritischen masse an frauen gesehen wird (von männern, die ja vielleicht auch mal von sich aus was dran ändern könnten, wenn sie selber keine sexisten sind und auch um himmels willen nicht fälschlicherweise für solche gehalten werden wollen, red ich da noch gar nicht mal) ___ ]).

        so ähnlich gehts mir (in einem anderen kontext) mit leuten, die in der etablierten wirtschaft arbeiten und sagen, dass sie für nachhaltigkeit sind. bzw, auf eine “öko”-schiene erst dann gehen, _nachdem_ sie ihr geld und ihre karriere schon gemacht haben.

        was ich nämlich auch glaube ist, dass die machtstruktur “sexismus” nach oben hin den frauen ganz nette ecken einräumt, in denen es ganz angenehm ist (vorausgesetzt frau wahrt die ihr zugewiesenen grenzen und räume). und nach unten hin wird es so richtig eklig.

        ich kann mir nicht vorstellen, was sonst der grund sein soll, dass sich das so lange hält (diese machtstruktur). weil eigentlich bin ich überzeugt davon und weiß das auch aus erfahrung, dass reale frauennetzwerke um einiges mehr halten und verändern (vorausgesetzt es stellt sich eine hinreichende dichte ein), als die seilschaften von männern. weshalb man das, was frauen tun, ja auch so maßlos belasten kann ohne dass es zusammenbricht (billiglohnausbeuterei z.b.).

  4. Was bleibt… ab und an verirre ich mich auch auf die “falschen” Seiten oder lese Tweets, die mich innerlich angreifen, und frage mich, wie da so viel Hass, Relativierung und Unverständnis sein kann. Und was ich damit machen soll, da, in meinem Kopf. Aber wegblenden? Kann es das sein, nur die Hälfte der Realität wahrzunehmen? Momentan versuche ich, irgendwie die Mitte zu finden.
    Auch die Erfahrungen betroffener Menschen zu lesen, ist teils sehr heftig.
    Gleichzeitig fühlt sich #aufschrei für mich empowernd an.
    Zu wissen, dass da draußen Personen sind, die Ähnliches erleben/erlebt haben, und die deutlich machen, dass es eben nicht okay ist. Dass es nicht “jammern auf hohem Niveau” ist (und was da noch so an Ausdrücken auftauchte).
    Und dass es nun http://alltagssexismus.de/ gibt – und weiterhin genutzt wird – ist für mich zugleich erschreckend (so.viele.was ist das für eine Welt) und beruhigend (ich bin nicht allein, auch nicht mit meinen Reaktionen/Verdrängungsmechanismen/Ängsten).
    Ich kann nicht einschätzen, ob der #Aufschrei etwas an den verkrusteten Strukturen ändern oder auch nur über ein paar Wochen hinaus Awareness hervorrufen kann.
    Aber mir persönlich bringt er unheimlich viel. Gute Diskussionen mit Freund_innen. Anlass, mich ein bisschen in die feministische Netzszene (Gehirn spuckt grad keinen sinnigeren Begriff aus) zu wagen. Und mehr, zu dem ich grad nichts öffentlich schreiben mag. Jedenfalls bin ich nicht dieselbe wie davor, und ich glaube, es geht nicht nur mir so.

    • Das klingt gut und ich freue mich wirklich über jedes Anzeichen, dass #aufschrei was gebracht hat :)
      Das mit der Gratwanderung geht mir auch so, ich denke aber, da ich den alltäglichen Sexismus schon nicht wegblenden kann, erspare ich mir wenigstens, wie sich aufs ignoranteste noch darüber lustig gemacht wird.

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